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Wenn bei ihrer Oma ein neues Huhn auf den Hof kam, sagt eines der vier Mädchen, dann gab es Kämpfe, bis das neue eingeordnet war – oft sogar blutige Gemetzel. „Aber wir sind ja keine Hühner“, fügt das Mädchen hinzu. „Wir Mädchen sind schlauer.“
Wirklich? Dass es auch zwischenmenschliche Hackordnungen gibt, dass dafür gerade Jugendliche auf der Suche nach einer sozialen Rolle empfänglich sind, dass das Internet zu ungeahnten Formen des Cybermobbings führen kann – darum geht es in dem preisgekrönten Jugendstück des kanadisch-britischen Autors Evan Placey mit dem Titel „Girls Like That“. Mädchen mögen das? Der deutsche Titel „Mädchen wie die“ wirkt weniger doppeldeutig und zugleich vager. Doch was die Regisseurin Wera Mahne und die Schauspieler auf der Bühne des Ballhofs Zwei daraus machen, gibt den kritischen Gehalt des Stückes recht gut wieder – und bietet noch Einiges darüber hinaus.
Alles Übel geht in Placeys Stück von einem Medium aus, in dem „Gossip“, also Häme, Vorurteil und üble Nachrede, tumbe Tabus und kritikwürdige Konventionen zu einem verhängnisvollen Mix führen: vom Smartphone. Alles Übel geht in Mahnes Inszenierung überdies von einer blau gefliesten Schwimmbadecke aus, in der die vier Mädchen hocken und aufs Smartphone starren, auf dem sie von ihrer Klassenkameradin Scarlett Nacktbilder („Iiiih – nackt!!“) vorfinden, skandalisieren, weiterleiten.
Dass diese Scarlett hier nur als Schild mit ihrem Namenszug vorkommt, welches die anderen mal malträtieren, mal umhängen, um das Mobbingopfer zu verkörpern, dass die vier Mädchen Scarlett bald verteidigen, bald attackieren, dass eine von einem Mann verkörpert wird – all das ist für diese Inszenierung nicht so wichtig. Denn hier geht es nicht um Einzelcharaktere, sondern um Typen von Denk- und Handlungsschranken. Um Blockaden, die pubertäre Codes und mediale Rituale errichten. Sie finden Ausdruck in dem Unflat, mit dem Scarlett mal als allzu bereitwillige „Schlampe“, mal als sich verweigernde „Spielverderberin“ diffamiert wird. Und außer in solchen verbalsprachlichen Pöbeleien auch in ausdrucksstarken körpersprachlichen Gesten.
Die gehören zu jedem guten Theaterstück, sie werden hier aber um eine besondere Dimension erweitert. Denn Placeys Vorlage ist am Ballhof außer in Laut- auch in Gebärdensprache inszeniert. Und was allen, die dieser Ausdrucksform nicht mächtig sind, als Hürde erscheinen könnte, erweist sich hier genau umgekehrt als Bereicherung. Nicht nur weil man eine Ahnung davon bekommt, welche Gebärde „Schlampe“, „nackt“ oder „ficken“ ausdrücken könnte, sondern auch, weil diese Körpersprache die Lautsprache gut ergänzt.
Diese Mehrsprachigkeit gelingt, weil neben den Schauspielern Elena Schmidt und Dennis Pörtner die beiden gehörlosen Darsteller Pia Katharina Jendreizik sowie die aus mehreren „Tatort“-Folgen bekannte Schauspielerin und Tänzerin Kassandra Wedel auf der Bühne stehen. So kommt Laut- und Gebärdensprache zum Einsatz, und überdies werden Texte auf die Wände der äußerst wandelbaren Schwimmbadecke (Bühnenbild: Anna Siegrot) projiziert. Da flimmern dann auch Videos, die den Rahmen des Vier-Personen-Stücks sprengen. Da werden Sprünge in die Kindheit der Mädchenclique markiert. Und da gibt es Exkurse bis zurück in die Zwanzigerjahre, in denen es um Schritte zur Emanzipation geht, um den Kampf gegen Frauendiskriminierung und für weibliche Selbstbestimmung. Und Kassandra Wedel bietet mit einer zur Trickfilmanimation (Video: Declan Hurley) getanzten Performance rund um das Thema sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz gleich noch einen pantomimischen Beitrag zur aktuellen „#MeToo“-Debatte.
Es geht also in dieser auf vielen Ebenen starken Inszenierung eines ohnehin starken Theaterstücks um Ausgrenzung und Inklusion zugleich – wobei hier in reizvoller Umkehr sonstiger Verhältnisse die Hörenden in die Welt der Gehörlosen aufgenommen werden. Kein Wunder, dass es am Ende dieses gut 90-minütigen Abends (ohne Pause) langanhaltenden Applaus gibt. Dabei lernt dann übrigens das nicht gebärdenkundige Publikum an den minutenlang über den Köpfen der Zuschauer kreisenden Händen gleich noch, wie man Gehörlosen Beifall spendet.
Hannoversche Allgemeine, Daniel Alexander Schacht